Austauschforum

Dem besseren Kennenlernen der Tagungsteilnehmenden untereinander diente das Austauschforum zum Erfassen des Status Quo an den unterschiedlichen Standorten der Germanistik in der Ukraine am ersten Tag. Eine Besonderheit war es hier, dass die Austauschgruppen nach akademischen Statusgruppen zusammen gesetzt waren, sodass die spezifischen Probleme, z.B. des wissenschaftlichen Nachwuchses deutlicher angesprochen werden konnten.

AG ProfessorInnen

13 ukrainische, deutsche, österreichische und polnische ProfessorInnen haben aktuelle Bedingungen und Probleme der ukrainischen Hochschuldozierenden, Studierenden und DoktorandInnen zur Sprache gebracht. Es wurde festgestellt, dass aktuelle Bedingungen an den vier ukrainischen Universitäten Ähnlichkeit aufweisen und sind durch Mangel an Lehrkräften, Minderung der Studierendenzahl durch äußere und innere Migration, geographische Zerstreuung von Studierenden und Dozierenden sowie Verstärkung der Bürokratie gekennzeichnet. Darüber hinaus wurde über aktuelle Projekte berichtet: “Ukraine digital” (Uni Charkiw, Uni Duisburg-Essen), “Deutsch-ukrainisches Digitalwörterbuch” (IdS Mannheim, Uni Leipzig, Uni Lwiw, Uni Tscherniwtsi, Schewtschenko-Uni Kyiiw). Ein weiterer Unterstützungsbedarf wurde thematisiert: Aktivierung des Formats “Gastvorträge”, Anschluss zu Online-Veranstaltungen in Deutschland (z.B. Sprachcafés an der Uni Leipzig), Förderung des Modells mit Doppelabschlüssen, Unterstützung bei der Lehre seitens der deutschen Studierenden, Heranziehen von SlawistInnen, AnglistInnen und VertreterInnen anderer philologischer Fachrichtungen, Erteilung des Online-Unterrichts u.a.  Es wurde betont, dass die ukrainische Germanistik trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen der Zeit nach Auswegen und Lösungen sucht und findet, um die Relevanz und Perspektiven des Faches zu wahren.

AG Postdocs

Da die Postdocs, d.h. Kolleg:innen, die bereits über eine abgeschlossene Promotion verfügen, die größte Gruppe der Teilnehmenden darstellte, wurde hier in zwei Austauschgruppen (10 + 10 TN) diskutiert. Hier stellten sich unterschiedliche Herausforderungen für diejenigen ukrainischen Wissenschaftler*innen dar, die in der Ukraine geblieben und jenen, die aufgrund des Krieges in die amtlich deutschsprachigen Länder geflohen waren. Von den ukrainischen Kolleg:innen wurde neben der hohen Lehrdeputate angemerkt, dass viele Studierende Probleme mit der Motivation haben, die der unsicheren Zukunftsperspektive im Land geschuldet sei. Von Unsicherheiten sind vor allem die Universitäten in den östlichen Grenzregionen betroffen, an denen die Studierenzahlen teilweise stark zurück gegangen sind. Zudem berichten verschiedene Kolleg:innen von der belastenden Situation des Lehrbetriebs bei Luftangriffen. Genau wie die Studierenden seien die Lehrenden psychologisch nicht vorbereitet und litten unter dieser extremen Situation. Es wurde jedoch auch festgestellt, dass die Lehre von den Erfahrungen des online-Lehrens während der  Corona-Pandemie profitieren konnte, da bereits viele Lehrformate auf das digitale Unterrichten ausgelegt waren. Diese bereits digital umgestellten Prozesse erleichterten 2022 auch das Aufrechterhalten des Lehrbetriebs und die Kommunikation mit den Studierenden und Kolleg:innen unabhängig von deren aktuellem Standort. Die Kolleg:innen, die weiter in der Ukraine tätig sind, wünschen sich vor allem Unterstützung für die Arbeit vor Ort und nicht nur Stipendienprogramme für die Ausreise nach Deutschland. So berichtete ein Kollege davon, dass die Universität Bochum studentische Assistenzen finanziert habe, die die online-Lehre der ukrainischen Kolleg:innen im Wintersemester 2022 unterstützten. Eine weitere Unterstützung könnten Wissenschaflter:innen in Deutschland durch Gastvorträge oder die Übernahme einzelner Lehrveranstaltungen an ukrainischen Universitäten leisten.

Die Kolleg:innen, die nach ihrer Flucht aus der Ukraine vielfach als Sprachlehrkräfte an Universitäten, Sprachlernzentren oder Schulen eingesetzt werden, berichten von einer belastenden Doppelrolle, da sie einerseits häufig familiär stark gefordert sind und das Ankommen der Familien in der neuen Umgebung absichern müssen, sich aber gleichzeitig in neue Fachgebiete, z.B. den DaZ-Unterricht von Kindern an Schulen einarbeiten müssen. Zudem sind viele Kolleg:innen weiterhin für ihre ukrainischen Universitäten tätig. In Bezug auf Forschungsmöglichkeiten wurde von beiden Gruppen der Bedarf an kurzfristigen Förderungen betont, um Möglichkeiten für eigene Projekte zu schaffen. Zudem besteht Interesse an forschungsmethodischen Fortbildungen, um internationalen Anforderungen an Forschungsvorgehen gerecht zu werden. Einige Teilnehmende betonten, dass sie den Aufenthalt in Deutschland oder Österreich diesbezüglich als sehr gewinnbringend und motivierend für ihre eigene wissenschaftliche Tätigkeit empfinden und sich hier stärkere Vernetzungsangebote wünschen.

AG Promovierende

8 ukrainische und 3 deutsche Promovierende diskutieren in der AG über die spezifischen Herausforderungen ihrer Statusgruppe. Die ukrainischen Doktorand:innen skizzierten zunächst die aktuelle Situation, die aus einer großen emotionalen Belastung, Angst und Unsicherheit bestand und einen Einfluss auf die Motivation für das Promotionsprojekt hat. Während einige Ablenkung in der Wissenschaft fanden, beschrieben andere, dass der regelmäßige Luftalarm und die Stromausfälle sie über einen Abbruch nachdenken ließe. Ausbleibende Veranstaltungen und geschlossene Bibliotheken würden die Situation zusätzlich erschweren, gleichsam wünschten sie sich einen Ausbau des psychologischen Dienstes der Hochschulen.

Sie diskutierten, welche Konsequenzen ihre persönlichen Entscheidungen zwischen Gehen und Bleiben auf die ukrainische Wissenschaftslandschaft habe und sahen sich vor der Herausforderung, am Aufbau eines attraktiven Bildungssystems mitzuwirken und am Capacity Building teilzuhaben.

Alle ukrainischen Teilnehmenden waren im Vorfeld gebeten wurden, sich zu den folgenden Impulsfragen auf kurze Statements vorzubereiten:

Status Quo und aktuelle Bedingungen

  • Was hat sich in den letzten 12 Monaten in meiner germanistischen Teildisziplin geändert? (Was macht die Kriegssituation mit der Disziplin?
  • Was bedeutet die Kriegssituation für individuelle Wissenschaftler*innen?
  • Wie sieht der Studien-/Forschungsalltag aus?

Bisherige Lösungen

  • Welche Lösungen wurden gefunden?
  • Wie können geflohene Wissenschaftler*innen an ihren eigenen Themen weiterarbeiten?
  • In welchen Projekten wird aktuell mit deutschen und österreichischen Universitäten zusammengearbeitet?

Weiterer Unterstützungsbedarf / Herausforderungen

  • Wie kann man von deutscher Seite aus unterstützen?
  • Was wird benötigt?
  • Welche Strukturen müssten geschaffen werden?

Die Ergebnisse der Statements dienten während der Podiumsdiskussion als Leitfragen des Gesprächs.

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